Der Einfluss der Ukrainekrise auf die Chipproduktion

28. September 2022
Das Edelgas Neon wird in der Photolithographie verwendet. Dabei bringen spezielle Laser Mikrostrukturen auf Siliziumplatten auf.

Konjunktureinbrüche, die drohende Gasknappheit und eine Inflationsrate von fast acht Prozent – der Krieg in der Ukraine belastet Unternehmen weltweit spürbar. Und damit nicht genug: Der Konflikt verschärft die globale Chipkrise. Das liegt nicht nur an unterbrochenen Lieferketten, sondern vor allem an einem ganz besonderen Stoff: dem Edelgas Neon.

2022 sollte alles anders werden: Die Weltwirtschaft begann sich langsam von den Folgen der Coronapandemie zu erholen – und so auch die Halbleiterindustrie. Doch dann marschierte Russland am 24. Februar in die Ukraine ein und veränderte die Lage am Markt wieder. Das prognostizierte Wachstum für 2022 wird voraussichtlich nicht erreicht werden.

Unternehmen wurde klar, wie abhängig sie von Importen aus der Ukraine und Russland sind. Plötzlich war nicht nur die Versorgung mit Gas, Öl und landwirtschaftlichen Erzeugnissen in Gefahr, sondern auch die Lieferung eines Stoffes, der für die Produktion von Halbleitern essenziell ist: Neon.

Neon und seine Bedeutung für die Halbleiterindustrie

Neon ist ein Edelgas, also ein chemisches Element, das nicht reaktionsfähig ist und sich in sehr geringer Konzentration in der Luft befindet. Es wird in hochtechnologischen Air Separation Plants bzw. Units (ASUs) als Abfallprodukt der Sauerstoffherstellung gewonnen. Im sogenannten Linde-Verfahren wird die Luft in ihre Bestandteile zerlegt und ein Neon-Helium-Mix entsteht. Um dieses Gemisch nochmals zu separieren, werden große Mengen an Energie benötigt, sodass sich die Weiterverarbeitung nur für große Produzenten lohnt.

In der Produktion von Halbleitern wird Neon dringend benötigt. Das Gas kommt in einem Prozess zum Einsatz, der sich Photolithographie nennt. Dabei bringt ein spezieller Laser Mikrostrukturen auf die dünnen Siliziumplatten (Wafer) auf. Da das Neon während dieses Verfahrens verunreinigt wird, muss es in kurzen Abständen ganz oder teilweise ausgetauscht werden.

Produktions- und Transportausfälle in der Ukraine

Derzeit ist die Ukraine der weltweit führende Hersteller von Neon. Bis zu 50 % des Stoffes kommen von zwei dort ansässigen Unternehmen: Ingas aus der Hafenstadt Mariupol und Cryoin aus Odessa. Beide Städte standen immer wieder unter massivem Beschuss durch die russische Armee, sodass die Unternehmen ihren Betrieb zeitweise einstellen mussten.

Hinzu kommt, dass die Ukraine zeitweise vom internationalen Seehandel abgeschnitten war und Transportwege versperrt waren, sodass zahlreiche Waren nicht exportiert werden konnten.

Dennoch: Im Jahr 2014 hat sich sogar gezeigt, dass Krisen auch Innovationen vorantreiben können. Als prorussische Separatisten den Donbass und Russland die Halbinsel Krim besetzten, stand die Industrie vor einer ähnlichen Herausforderung wie derzeit. Die Preise für Neon schossen in die Höhe. Die Produzenten arbeiteten daraufhin daran, das Laserverfahren, in dem das Gas benötigt wird, effizienter zu gestalten – mit Erfolg.

Dadurch ist es heute möglich, einen Teil des verwendeten Neons zu reinigen und damit wiederverwendbar zu machen. Außerdem können die Hersteller auf einen Vorteil setzen, der es ihnen erlauben zunächst uneingeschränkt weiter zu produzieren: sie verfügen über eine Vorratshaltung.

Wie geht es weiter?

Obwohl sich die Situation deutlich entspannt hat, kann von einer Normalisierung des Warenverkehrs noch keine Rede sein. Der derzeitige Konflikt hat offengelegt, wie anfällig Lieferketten sein können – vor allem wenn sich Kapazitäten auf wenige Akteure in bestimmten Weltregionen konzentrieren. Wie im Fall der geplanten Rückverlagerung der Chipproduktion nach Europa und in die USA, kann ein Lösungsansatz für die derzeitige Krise der Ausbau von neuen Produktionsstätten an verschiedenen Standorten sein.

Die zentrale Frage ist allerdings, ob potenzielle Hersteller trotz der instabilen wirtschaftlichen Lage momentan bereit sind, zu investieren. Und wenn sie es tun, wird es voraussichtlich Jahre in Anspruch nehmen, bis die Infrastruktur in Betrieb gehen kann.