Halbleiterkrise zieht sich bis Mitte des Jahrzehnts

12. Oktober 2022
In einem Gerät sind meist verschiedene Chips verbaut. Zum Beispiel auf dem Mainboard eines Computers.

Sie sind gerade einmal zehn oder 14 Nanometer breit – und doch will sie jeder haben: Mikrochips. Sie sind in fast allen Maschinen verbaut. Auch nach der Halbleiterkrise steigt die Nachfrage stärker, als die Komponenten nachproduziert werden können. Einige Branchen haben Lösungen zur Überbrückung gefunden, doch andere müssen länger mit der Knappheit kämpfen als bislang gedacht.

Nachfrage steigt stärker als Produktionskapazität

Experten von der Unternehmensberatung Roland Berger sind davon überzeugt, dass die Knappheit von Mikrochips auch über 2022 hinausgeht. Grund dafür ist vor allem die wachsende Diskrepanz zwischen Nachfrage und Angebot. In den vergangenen zwei Jahren wuchs die Nachfrage nach Halbleitern jährlich um 17 Prozent, während die Produzenten ihre Kapazitäten lediglich um sechs Prozent pro Jahr erhöhen konnten. Dieser Trend werde sich weiter fortsetzen.

Doch warum kommen die Hersteller nicht hinterher? Zum einen sind die Nachwehen des Corona-Booms hinsichtlich der digitalen Transformation weiterhin spürbar. Durch die Coronapandemie arbeiteten und lernten die Menschen vermehrt von zu Hause, was zu einer schlagartig stark ansteigenden Nachfrage nach Elektronik führte. Die Lagerbestände erreichten ihren Tiefpunkt. Kurz nach Beginn der Pandemie investierten erste Firmen hohe Summen in die Chip-Produktion, es wurden neue Standorte geplant und Maschinen bestellt. Doch es geht nicht um den einen Chip. Das Feld ist wesentlich komplexer: Es gibt verschiedene Typen von Mikrochips, die verschiedene Funktionen und Einsatzgebiete haben.

Für die Luft- und Raumfahrt müssen die Bauteile besonders hoher Temperatur und Strahlung trotzen, in Mobilgeräten zählen vor allem geringe Leckströme, hohe Übertragungsraten und ein niedriger Energieverbrauch. Produzenten müssen also vorab festlegen, welche Beschaffenheit ihre Chips haben und welche Funktionen sie erfüllen sollen. Und hier unterscheiden sich die Produktionsprozesse teilweise stark. Hinzu kommt, dass die Anlagen nicht flexibel sind und demnach auch nicht kurzfristig auf einen anderen Chip-Typ umgestellt werden können – so wie die Textilunternehmen und Chemiekonzerne während der Coronapandemie als Interimslösung auf Schutzbekleidung und Desinfektionsmittel umgestellt haben.

Knappheit bleibt trotz hoher Investitionen bestehen

Das wichtigste Merkmal der Chips ist die sogenannte Strukturbreite, die definiert, wie fein die Schaltkreise gearbeitet sind. Je geringer die Strukturbreiten, desto leistungsfähiger und effizienter sind die Prozessoren, zu denen die Chips verbaut werden. Und auf diese kleinen Wunder konzentriert sich die Halbleiterbranche aktuell besonders. Sie werden in Smartphones, Laptops und anderen computerähnlichen Geräten integriert.

Wer dabei den Kürzeren zieht, ist unter anderem die Automobilindustrie. Laut Roland Berger sind konventionelle Autos im Vergleich zu modernen, fortschrittlichen Geräten wie medizinische Großgeräte oder Hochleistungscomputer stark abhängig von älteren Strukturgrößen. Diese sind meist auf alte Fertigungsprozesse angewiesen, auf denen nicht länger das Hauptaugenmerk liegt.

Namhafte Firmen wie Bosch investieren zwar hohe Summen in den Ausbau ihrer Halbleiterstandorte mit Fokus auf große Mikrochips, um die Automobilindustrie zu unterstützen. Allerdings ist der Bau einer Anlage langwierig und hängt von der Lieferung spezieller Maschinen ab. Kurz gesagt: Es dauert, bis die Produktion voll hochgefahren ist. Experten zufolge wird es daher gerade bei diesen älteren und größeren Chips zu Engpässen kommen, die sich über Jahre hinziehen werden.

Lösungsweg: Halbleiterprogramm in den USA und Europa

Parallel stehen für den Weltmarkt in der Zukunft große Veränderungen an: Aktuell stammen rund 90 Prozent der weltweit produzierten High-End-Chips aus Taiwan – und das soll sich ändern. Der Westen will die Abhängigkeit von asiatischen Zulieferern und Wertschöpfungsketten begrenzen. Deshalb investieren jetzt auch die USA und die EU verstärkt in die lokale Chip-Produktion. Mit mehr als 52 Milliarden Dollar will die USA neue Fabriken fördern. Die unterstützten Firmen müssen sich allerdings an einige Vorgaben halten; unter anderem ist es ihnen untersagt, in den ersten zehn Jahren nach China zu expandieren oder dort zu handeln. Die EU zieht mit einem European Chips Act nach: Bis 2030 soll ein Fünftel aller Mikrochips aus Europa stammen. Dazu stehen den Herstellern bis zu 43 Milliarden Euro an staatlichen und privaten Investitionen zur Verfügung. So hat etwa der kalifornische Halbleiterriese Intel angekündigt, nicht nur in Standorte in Arizona zu investieren, sondern auch in Europa. Der Spatenstich für eine riesige Fabrik in Magdeburg ist für 2023 angesetzt.